Versöhnen nach 500 Jahren? – Luthers Verbrennungsaktion

von Dr. Hans-Georg Link

Versöhnen nach 500 Jahren?

1521 – 2021

Luthers Verbrennungsaktion gegen den „Antichrist“ und die päpstliche Exkommunikation Luthers und aller seiner Anhänger aus heutiger Sicht

Papst Franziskus in Rom und Erzbischof Musa in Abuja/Nigeria und Genf zugedacht

I. Der ungelöste Konflikt zwischen Martin Luther und Papst Leo X.

Das gemeinsame Wort der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland zum Jahr 2017 widmet sich in seinem 3. Kapitel den Erinnerungsorten aus der Reformationszeit. Am Schluss dieses Kapitels kommt es auf den „Kern des konfessionellen Konflikts“ zu sprechen: „die Spaltung der Kirche, die durch die komplementären Erinnerungsorte des Banns über Luther einerseits und der Verwerfung des Papsttums als Antichrist durch weite Teile der Reformation andererseits markiert ist.“ (1) Wir haben es also mit den beiden im Titel genannten historischen Vorgängen, die sich  vor 500 Jahren 1520/21 innerhalb weniger Monate abgespielt haben, mit dem „Kern des konfessionellen Konflikts“ zu tun, der bis heute noch nicht aufgearbeitet ist.

In seiner schriftlichen Auseinandersetzung mit der Bannandrohungsbulle hat Martin Luther im Oktober 1520 den Papst erstmals öffentlich gleich im Titel als „Endchrist“ = (lateinisch) „Antichristus“ (2) bezeichnet. Wenige Wochen später hat er mit der Verbrennungsaktion am 10. Dezember 1520 ein weithin beachtetes Zeichen dafür gesetzt, dass er nicht bereit war, sich vom Papst in die Kniee zwingen zu lassen, sondern den Mut besaß, der päpstlichen Forderung nach Verbrennung seiner Bücher mit gleicher Münze heimzuzahlen. Hat er sich damit selbst aus der Kirche ausgeschlossen, sodass der Papst diesen Akt mit seiner Bannbulle nur noch nachträglich bestätigt hat? Und was hat Luther mit der Bezeichnung des Papstes als „Antichrist“, die in vier reformatorische Bekenntnisschriften übernommen worden ist, genau zum Ausdruck bringen wollen?

Am 3. Januar 1521 hat Papst Leo X. mit seiner Bannbulle offiziell bestätigt, dass Luther – wie in der Bannandrohungsbulle vom 15. Juni 1520 angedroht – seit dem 10. Dezember „schon zum Ketzer erklärt ist“ (3). Hat Leo X. mit dieser Erklärung  Luther als Einzelperson oder als Kopf der reformatorischen Bewegung exkommuniziert? Ist der päpstliche Bann mit Luthers Tod erloschen oder gilt er – wie die Bannbulle erklärt –  „für alle  Zukunft“ zur „ewigen Verdammnis“? (4) Schließlich: Worin bestand der „Kern“ des Konflikts zwischen Luther und Papst, der bis heute nicht überwunden ist?

Nach 500 Jahren ist es hohe Zeit, auf diese Fragen überzeugende Antworten zu finden und dann im Jahr 2021 daraus die entsprechenden Folgerungen in Wort und Tat zu ziehen. Denn es handelt sich bei dieser Auseinandersetzung nicht um eine längst vergangene historische Randthematik, vielmehr – wie die beiden Repräsentanten der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland schreiben – um den „Kern des konfessionellen Konflikts“. Wenn die evangelische und katholische Kirche je in offizielle Gemeinschaft miteinander eintreten wollen, muss dieser bis heute ungelöste, daher kirchentrennende Konflikt bewältigt werden – je früher, desto besser.

II. Martin Luther: „Warum des Papstes Bücher verbrannt sind“

1. Die Verbrennungsaktion
Am 10. Dezember 1520 lud Philipp Melanchthon zur Teilnahme an einer Verbrennungsaktion mit folgender Begründung ein: „Die Frechheit der Feinde des Evangeliums ist nämlich so weit gediehen, dass sie die frommen und evangelischen Bücher Luthers verbrannt haben.“ (5) Er bezieht sich damit auf Verbrennungen von Luthers Schriften, die im Herbst 1520 auf Betreiben des päpstlichen Gesandten Aleander u. a. in Löwen, Köln und Halberstadt stattgefunden hatten. Es handelt sich also bei der reformatorischen Verbrennungsaktion päpstlicher Bücher in Wittenberg um eine Re-Aktion auf zuvor erfolgte Verbrennungen von Luthers Schriften an verschiedenen Orten innerhalb und außerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Luther bestätigt das in der Einleitung seiner Verteidigungsschrift: „Ich hätte mich eines solchen Werkes nicht unterwunden, wo ich nicht erfahren und gesehen hätte, dass der Papst und die päpstlichen Verführer… die evangelische Lehre verdammen und verbrennen…“ (6)

Die Wittenberger Verbrennungsaktion fand nicht auf dem zentralen Platz der Stadt, wie z. B. zuvor am 12. November in Köln, statt, sondern vor dem Tor der Stadtmauer am so genannten Schindanger, dem Ort der Entsorgung. Ins Feuer fielen kleine Schriften der Gegner Luthers Johannes Eck und Hieronymus Emser, ein Beichthandbuch von Angelus de Clavasio und vor allem das Kanonische Recht. „Schließlich trat Luther selbst,´zitternd und betend´, wie er später Staupitz berichtete, an das Feuer heran und warf einen Druck der Bannandrohungsbulle hinein. Dabei sprach er mit leiser Stimme die an Psalm 21,10… anklingenden Worte: ´Weil du die Wahrheit… Gottes verderbt hast, verderbe dich heute der Herr.´“ (7) Diese kurze Verbrennungsaktion, nach der Luther sofort in die Stadt zurückkehrte, war als demonstrative Zeichenhandlung gedacht, dass Luther und seine Mitstreiter sich nicht von den pompös inszenierten päpstlichen Verbrennungsaktionen gegen Luthers Schriften  einschüchtern  ließen. Von einem „spektakulären Happening“ (8) kann jedoch im Blick auf Luther nicht die Rede sein. Auch die im 19. Jahrhundert beliebten Darstellungen, auf denen Luther mit schwungvoller Geste und gen Himmel gerichtetem Augenaufschlag die päpstliche Bannandrohungsbulle ins Feuer schleudert (9), treffen nicht den Sinn der Aktion, das Evangelium gegenüber dem Kanonischen Recht zu behaupten.

Am nächsten Tag, dem 11. Dezember 1520, erläuterte Luther in einer auf  Deutsch gehaltenen Vorlesung seine Aktion. Sie sollte die Alternative: Christus oder Papst, verdeutlichen. „Das Heil lag nunmehr in einer Umkehr, die die radikale Abwendung vom Papst bedeutete.“ (10) Angesichts von schnell ins Kraut schießenden Gerüchten über die Verbrennungsaktion entschloss sich Luther auch zu einer schnellen schriftlichen Apologie seiner Wittenberger Zeichenhandlung. Sie lag bereits am 27. Dezember 1520 gedruckt vor und wurde in Deutschland urbi et orbi  verschickt: „Warum des Papstes und seiner Jünger Bücher von Dr. Martino Luther verbrannt sind.“ (11)

2. Die Verteidigungsschrift
Diese Schrift beginnt mit einer, in Form eines öffentlichen Erlasses formulierten, feierlichen Bestätigung der quaestio facti: „Ich, Martinus Luther, genannt Doktor der Heiligen Schrift, Augustiner zu Wittenberg, verfüge männiglich  zu wissen, dass durch mein Willen, Rat und Zutat am Montag nach St. Nicolai im 1520. Jahr verbrennet sind die Bücher des Papstes von Rom und etlicher seiner Jünger.“ (12) Er bekennt sich also frank und frei zu seiner Tat, die nicht einem spontanen Einfall zuzuschreiben ist.

In der Einleitung begründet Luther die Aktion mit 5 Argumenten: An erster  Stelle beruft er sich auf die Heilige Schrift in Apostelgeschichte 19,19, die öffentliche Verbrennung von Zauberbüchern in Ephesus, und nennt es einen „alther gekommenen Brauch, giftige, böse Bücher zu verbrennen“. Luther untermauert an  zweiter Stelle diesen Schriftansatz mit dem Hinweis, „ein geschworener Doktor der Heiligen Schrift“ und täglicher Prediger zu sein, dem es von Amts wegen zukommt, „falsche,  verführerische, unchristliche Lehre zu vertilgen oder doch abzuwehren“.  Drittens verweist er auf die zuvor erfolgten Verbrennungsmaßnahmen seiner Gegner und nimmt viertens Papst Leo ausdrücklich davon aus: „Ich glaub auch nicht, dass sie den Befehl haben von dem Papst Leo X.“ Schließlich spricht Luther als Seelsorger, dass durch das Bücherverbrennen besonders der „Kölner und Löwener“ „der Wahrheit ein großer Nachteil“ (geschieht) zu vieler Seelen Verderben.“

Deshalb empfiehlt Luther als methodisches Urteilsverfahren, zuerst den Inhalt des Kanonischen Rechts zur Kenntnis zu nehmen und erst danach frei zu urteilen, „ob ich rechtlich oder unrechtlich diese Bücher verbrennet habe“ (13).

Damit geht Luther zum Hauptteil seiner Schrift über, in dem er sich sofort daran macht, 30 inhaltliche „Artikel und Irrtümer in des geistlichen Rechts und päpstlichen Büchern“ aufzuweisen. Man kann ihre Zahl als Antwort auf die 41 „Artikel oder Irrtümer“ verstehen, die die Bannandrohungsbulle  aus Luthers Schriften auflistet und verurteilt. Luther lässt es aber mit einer solchen schlichten Aneinanderreihung nicht sein Bewenden haben, sondern stellt jedem beanstandeten Satz des Kanonischen Rechts meistens ein inhaltliches Schriftwort, in der Regel aus den Evangelien, gegenüber. Auf diese Weise konfrontiert er Heilige Schrift und Kanonisches Recht miteinander, zwischen denen sich der Leser jeweils zu entscheiden hat. Damit ist auch geklärt, dass Luther mit „päpstlichen Schriften“ keine persönlichen öffentlichen Äußerungen von Leo X. oder einem seiner Vorgänger im Blick hat, sondern sich auf die rechtlichen Dekretalen bezieht, wie sie seit Papst Gregor IX. im Liber Extra von 1334 (14) vorlagen und bis zum Corpus Iuris Canonici (CIC) von 1917 maßgebend gültig blieben.

Inhaltlich thematisiert Luther in den 30 Artikeln Gottes Gebote (1-3), Konzile (4-6), päpstlichen Machtanspruch (8-10), päpstliche Rechtssetzung (11-16), Vorschriften zu Festen und Ehe (17/18,27), römische Ansprüche (19-23), Gelübde (24-26), Gottes Wort und päpstliche Gesetze (28-30). In dieser Thematik spielen Luthers bisherige theologische Schwerpunkte: Ablass und Rechtfertigung überhaupt keine Rolle, sie werden mit keiner Silbe erwähnt. Stattdessen geht es faktisch von der ersten bis zur letzten Zeile um eine Auseinandersetzung zwischen dem Machtanspruch der Päpste und der Autorität Christi und der Heiligen Schrift. Die anfängliche Ablassthematik ist vollständig abgelöst von einem theologischen Machtkampf zwischen der Autorität des Papstes und der Schrift bzw. Christi. Das erklärt in Form und Inhalt die Unerbittlichkeit der Auseinandersetzungen  im Jahr 1520.

Exemplarisch greife ich den längsten Artikel 10 heraus. Das Kanonische Recht verfügt: „Den Papst kann niemand verurteilen auf Erden,…, sondern er soll alle Menschen richten auf Erden.“ (15) Dazu entgegnet Luther: „Dieser Artikel ist der Hauptartikel… Besteht dieser Artikel, so liegt Christus und sein Wort darnieder. Besteht er  aber nicht, so liegt das ganze geistliche Recht mit dem Papst und Stuhl darnieder… Darum ist das geistliche Recht als ein vergiftetes Ding billig zu vertilgen und zu meiden. Denn daraus folgt, (dass) wir zusehends das Evangelium und Glauben untergehen lassen müssen.“ (16)

Mit diesen Ausführungen nimmt Luther schon vorweg, was er im abschließenden Teil seiner Schrift zusammenfassend äußert. Sein Kerneinwand gegen den Papst lautet, dass er sich „über Gott und Menschen“ stellt. In diesem Gefälle sieht er auch das gesamte geistliche Recht stehen: „Es ist summa summarum: der Papst ist ein Gott auf Erden über alle Himmlischen, Irdischen, Geistlichen und Weltlichen, und alles ist sein eigen. Ihm darf niemand sagen: Was tust du?“ So kommt Luther abschließend zu harten holzschnittartigen Urteilen über den Papst, der „noch nie einmal mit Schrift oder Vernunft“ jemanden widerlegt, sondern „allzeit mit Gewalt, Bannen.… oder mit Listen und falschen Worten unterdrückt, verjagt, verbrannt oder sonst erwürgt“ hat. Weil Luther Christus, das Evangelium und die Heilige Schrift auf seiner Seite weiß bzw. sie ganz einseitig für sich und seine Sache in Anspruch nimmt, gewinnt er das Selbstbewusstsein zu seiner abschließenden Rechtfertigung der Verbrennungsaktion: „Dürfen sie meine Artikel, in denen mehr Evangelium und wahrer Heilige Schrift innen ist… als in allen Papstbüchern, verbrennen, so verbrenne ich mit viel mehr Recht ihre unchristlichen Rechtsbücher..“

Es ist schon äußerst erstaunlich, mit welcher Gottes-, Christus-, Schrift- und Selbstgewissheit der 37-jährige Augustinermönch hier gegen den höchsten Repräsentanten der damaligen Christenheit und seine Unterstützer zu Felde zieht. Er ist sich seiner evangelischen Lehre absolut sicher, wie aus dem letzten Satz hervorgeht: „In diesem allen erbiete ich mich, Rede  zu stehen jedermann.“ Genau das hat Luther auch von seinen Gegnern erwartet und gefordert, ohne dass es erfüllt worden wäre. Schon der Untertitel seiner Schrift lautet: „Laß auch anzeigen, wer da will, warum sie Doktor Luthers Bücher verbrannt haben.“ Der von seinem Recht völlig überzeugte, von Gottvertrauen erfüllte und vor jugendlicher Kraft strotzende  Reformator vergleicht sich in seinem abschließenden Zitat mit dem alttestamentlichen, schier unbezwingbaren Richter Simson: “Wie sie mir getan haben, so habe ich ihnen wieder getan“ (Richter 15,14). (17)

 

III. Zur „Antichrist“-Verurteilung des Papsttums

Luther hat seine Kritik am Papst und Papsttum seit dem Jahr 1520 mit dem Wort „Antichrist“ zusammengefasst und zeitlebens daran festgehalten. Wie ist er dazu gekommen?

1. Martin Luther
Sein erstes Schreiben an Papst Leo X. vom 30. Mai 1518, in dem er seine  95 Thesen erläutert und verteidigt, beschließt Luther mit der Zusicherung: „… sprecht Euer Urteil, wie es Euch gefällt, ich werde darin das Urteil Christi erkennen, der in Eurer Person seine Kirche leitet und durch Euren Mund redet…“ (18) Nachdem statt der erwarteten päpstlichen Antwort Luther am 7. August eine förmliche Vorladung aus dem Vatikan zu einem Ketzer-Verhör in Rom erhielt, ist ihm durch diesen Schock sein Vertrauen in den Papst als Stimme Christi offensichtlich zerbrochen. Bereits in einem Brief vom 18. Dezember 1518 an Wenzes- laus Linck in Nürnberg stellt er erstmals die Frage nach der Beziehung zwischen Papsttum und Macht des Antichrist. Im Zusammenhang seiner Vorbereitung auf die Leipziger Disputation, bei der er die päpstlichen Dekretalen studiert, schreibt Luther am 24. Februar 1519 an Georg Spalatin: „Ich weiß nicht, ob nicht der Papst der Antichrist selbst ist oder sein Apostel.“ (19) Nachdem Luther dann am 11. Oktober 1520 die Bannandrohungsbulle vom 15. Juni persönlich erhalten hat, verfasst er noch im selben Monat eine Gegenschrift, die nun schon in ihrem Titel den Papst als Antichrist bezeichnet: „Wider die Bulle des Endchrists.“

In dieser Schrift setzt sich Luther mit der Verfahrensweise und den ersten 12 Artikeln der Bannandrohungsbulle auseinander und kommt nur am Anfang und zum Schluss auf den päpstlichen Machtanspruch und die Person des Papstes zu sprechen. Man merkt deutlich, wie Luther mit heißer Nadel schreibt, wenn er der „endchristlichen Bulle“ zum Vorwurf macht, „dass sie den christlichen Glauben öffentlich und unverschämt leugnet, verdammt und  (als) ketzerisch straft“. Dafür macht er den „römischen Endchrist“ verantwortlich und kommt so zu seinem abschließenden Urteil: Wenn der Papst seinerseits die Bannandrohungsbulle seiner Mitstreiter, der „Bullisten“,  nicht widerruft, dann „soll niemand daran zweifeln, der Papst sei Gottes Feind, Christusverfolger, der Christenheit Verstörer und der rechte Endchrist“. (20)

Der entscheidende Schriftbeleg, auf den sich Luther seit 1520 immer wieder beruft, ist eine eschatologische Stelle aus dem nachpaulinischen 2. Thessalonicher-Brief (2,3 f), den Luther freilich als ur-paulinisch versteht: „Der Widersacher, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, dass er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt.“ Es ist also eine streng theologische und christologische Folgerung, die Luther zu seinem Antichrist-Urteil kommen lässt: Weil aus seiner Sicht der Papst seinen Machtanspruch über Gottes Gebote erhebt und seine Anordnungen, die Dekretalen, vielfach den Weisungen Christi widersprechen, darum nennt Luther den Papst Anti-Christ, den Gegen-Christus. „Mit dieser zugegebenermaßen schockierenden Anklage wollte Luther sagen, dass der Papst Christus nicht erlaubte zu sagen, was Christus sagen wollte, und dass der Papst sich über die Schrift gestellt hatte, anstatt sich ihrer Autorität zu unterwerfen.“ (20 a) In seinem theologischen Testament, der evangelisch-lutherischen Bekenntnisschrift der Schmalkaldischen Artikel von 1537, fasst Luther seine Einsicht „Vom Papsttum“ so zusammen: „Dieses (Lehr-) Stück zeigt gewaltig, dass (der Papst) der rechte Endchrist oder Widerchrist (= Antichrist) ist, der sich über und gegen Christus gesetzt und erhöht hat.“  (21)

2. Andere Reformatoren
Luthers stand mit dieser Einsicht beileibe nicht allein. Sein engster Mitstreiter Philipp Melanchthon, der Diplomat und Ökumeniker unter den Reformatoren, nennt in seiner Apologie des Augsburger Bekenntnisses von 1531 im Zusammenhang mit Traditionen von „menschlichen Gottesdiensten“ das dafür verantwortliche Papsttum „ein Teil des Reiches des Antichristen“. (22) Sein „Traktat über die Gewalt und den Primat des Papstes“ von 1537, auch eine evangelische Bekenntnisschrift, setzt sich ausführlich und äußerst kritisch mit Anspruch und Wirklichkeit des Papsttums auseinander, um zu dem Schluss für „alle Christen“ zu gelangen: „Deshalb müssen sie sich vom Papst mit seinem Anhang gleichsam als dem Reich des Antichristen trennen und ihn verfluchen.“ (23) Auch im Hauptwerk von Johannes Calvin, der Institutio, findet sich in seinen Erläuterungen über wahre und falsche Kirche die Bezeichnung des Papstes zu Rom als „Antichrist“, mit ausführlicher Begründung und ebenfalls mit Berufung auf Paulus und 2. Thessalonicher 2,4. (24) Schließlich beruft sich die letzte evangelisch-lutherische Bekenntnisschrift, die Konkordienformel von 1577, in ihrem zweiten  Teil auf Luthers 40 Jahre zuvor 1537 aufgestellte Schmalkaldische  Artikel und zitiert sie mit dem Satz: „Denn so wenig wir den Teufel selber als einen Herrn oder Gott anbeten können, so wenig können wir auch seinen Apostel, den Papst oder Endchristen, in seiner Herrschaft als Haupt oder Herrn ertragen.“ (25)

Zusammenfassend kann man zur Antichrist-Verurteilung der Päpste durch die Reformatoren und reformatorischen Bekenntnisschriften folgende Gesichtspunkte festhalten:

  1. Es handelt sich um ein streng theologisches bzw. christologisches Urteil, nicht um ein Schimpfwort.
  2. Es bezieht sich in erster Linie nicht auf die Päpste als Personen, sondern auf das Papsttum als Institution.
  3. Begründet wird das Antichrist-Urteil mit dem „geistlichen Recht“, den päpstlichen Dekretalen, besonders mit dem Liber Extra unter Gregor IX., das die päpstliche Macht und Autorität in den Vordergrund stellt.
  4. Als Beleg wird immer wieder 2. Thessalonicher 2,4 angeführt.
  5. Luther hat sich mit der Verbrennung der päpstlichen Dekretalen von 1334 und seiner Rechtfertigungsschrift dazu zwar von diesen rechtlichen Bestimmungen der Päpste und des Papsttums getrennt, nicht jedoch von der römischen Kirche insgesamt.
  6. Luther hat nicht nur negativ über das Papsttum gesprochen und geschrieben, sondern auch positive Überlegungen zur Gestaltung des Papstamtes iure humano beigebracht, die bisher zu wenig beachtet sind.
  7. Wichtiger als Luthers persönliche Auffassungen und Veröffentlichungen zum Papsttum ist die Übernahme seines Antichrist-Verdikts in 4 evangelisch-lutherische Bekenntnisschriften. (26)

3. Die weitere Entwicklung
Die Antichrist-Verwerfung gegenüber dem Papsttum hat sich im Protestantismus während der folgenden Jahrhunderte verselbstständigt, von seiner theologischen Begründung gelöst und ist verallgemeinert worden. Das Wort „Antichrist“ wurde apokalyptisch aufgeladen, emotionalisiert und schließlich zu einem Schimpfwort degradiert. Noch heute gehört es in weiten Teilen zum protestantischen Selbstverständnis, Papst und Papsttum gegenüber sich äußerst kritisch zu verhalten. Das zeigt sich beispielsweise in der evangelischen Reserve gegenüber der Offerte von Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Ut Unum Sint von 1995, „über dieses Thema mit mir einen brüderlichen, geduldigen Dialog aufzunehmen, bei dem wir jenseits fruchtloser Polemiken einander anhören könnten, wobei wir einzig und allein den Willen Christi für seine Kirche im Sinne haben…“ (27)

Nun hat es sich inzwischen auch im evangelischen Raum herumgesprochen, dass mit der Wahl von Papst Johannes XXIII. am 28. Oktober 1958 in der katholischen Kirche ein Epochenwechsel begonnen hat. Dazu verweise ich lediglich auf das Ökumenismus-Dekret Unitatis Redintegratio vom 21. November 1964, die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 und auf die Liturgie von Papst Franziskus zusammen mit dem damaligen Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, dem palästinensischen Bischof Munib Younan, zum 50-jährigen Jubiläum der  katholisch-lutherischen Dialoge am 31. Oktober 2016 im schwedischen Lund. Alle Päpste seit Johannes XXIII. haben in unterschiedlichem Maß dazu beigetragen, die Gründe für das Antichrist-Verdikt Luthers zu beseitigen und Christus mit seiner Botschaft zur Geltung kommen zu lassen. Das ist der ersten  Enzyklika von Papst FranziskusEvangelii Gaudium… über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute“ (28), besonders gut gelungen.

Wie hat die evangelische Seite bisher  geantwortet? Schon 1986 stellte die Studie „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ fest: „Auf ein Papsttum, dessen Amt dem Evangelium untergeordnet ist, kann jedoch das Urteil der Reformation über den Papst keine Anwendung finden.“ (29) Diesem ersten Votum sind 1994 die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) und die Arnoldshainer Konferenz mit ihrem Beschluss gefolgt: „Ein Papstamt, das sich nicht über, sondern unter die Heilige Schrift stellt und dessen Lehrentscheidungen folglich an der Heiligen Schrift zu prüfen und zu messen sind, wird von den Verwerfungen der Schmalkaldischen Artikel, der Papst sei der Antichrist, nicht getroffen.“ (30) Die „Kommission für die Einheit“ hat das 2013 aufgenommen und erklärt: „Auch wenn sie teilweise der Kritik Luthers am Papsttum zustimmen, so lehnen Lutheraner heute dennoch Luthers Gleichsetzung des Papstes mit dem Antichrist ab.“ (30 a)

Was aber bislang fehlt, ist eine öffentliche selbstkritische Kundgebung von Lutherischem Weltbund sowie  Synode und Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), den deutschen evangelischen Leitungsgremien, zur Antichrist-Verwerfung des Papsttums im Protestantismus. (31) Dazu gehört auch eine verbindliche Außerkraftsetzung der entsprechenden Passagen in den reformatorischen Bekenntnisschriften.

IV. Die Bannbulle von Papst Leo X.

1. Die Adressaten
Papst Leo begründet seine Bulle vom 3. Januar 1521 mit „Schismatikern“, die eine „ruchlose Spaltung“ in die Kirche Gottes hineintragen und damit „das nahtlose Kleid unseres Erlösers und die Einheit des Glaubens… zerreißen“. (32) Er sieht sich an erster  Stelle nicht der Person Martin Luthers, sondern einer Unzahl  von bösen Menschen gegenüber, die die kanonischen (Straf-) Bestimmungen missachten, Luther nachfolgen und ihn verteidigen; es sind „Verächter“ und „Verdammte“, die mit „List“ „Lügen“ verbreiten. Sie gehören zur „verderblichen ketzerischen Sekte dieses Martinus“. Deshalb „sollen sie zu Recht wie Martinus und andere exkommunizierte, gebannte und verfluchte Ketzer behandelt werden“. Der Papst wendet sich also mit seiner Bulle keineswegs nur gegen die einzelne Person Martin Luther, sondern gegen eine schismatische „Sekte“, deren Exponent der Wittenberger Mönch ist. Leo X. meint damit natürlich die gesamte reformatorische Bewegung, die offenbar so stark geworden ist, dass er sich als Bischof von Rom (33) genötigt sieht, gegen sie einzuschreiten.

Die Auseinandersetzung mit Person und Lehre Luthers geschieht in der Bannandrohungs-bulle vom 15. Juni 1520 mit ihren 41 Sätzen, die sie Luther zum Vorwurf macht. Nachdem er innerhalb der geforderten 60 Tage nicht widerrufen hat, gilt er seit dem 10. Dezember1520 als „schon zum Ketzer erklärt“, dessen „Gegenlehre“ insgesamt zurückgewiesen worden ist. Das macht verständlich, warum Leo X. in seiner Bannbulle keine einzige Schrift Luthers auch nur erwähnt (34) und nicht den geringsten Ansatz zu irgendeiner theologischen inhaltlichen Auseinandersetzung bietet, auf die es Luther so sehr ankam. Die Bannbulle zieht aus dem Verhalten Luthers und „all der anderen“ nur noch die kanonischen strafrechtlichen Folgerungen, die dem Papst vorbehalten sind.

2. Die Strafbestimmungen
Die entscheidende Passage lautet:

„Wir entscheiden, dass Martinus und alle die anderen unseren Strafen verfallen sind, die diesem Martinus nachfolgen, der verstockt an seinem verkehrten und verdammten Vorhaben festhält… Demnach entscheiden wir, dass sie alle der Strafe der Exkommunikation, dazu des Bannes, der ewigen Verdammnis, des Interdikts, des Verlustes ihrer und ihrer Nachkommen Würden, Ehren und Güter und der Untauglichkeit zu solchen, dazu der Einziehung ihrer Güter und der Majestätsbeleidigung verfallen sind…“ (35)

Hier wie in der ganzen Bulle richtet sich die Entscheidung des Papstes gegen Luther und „alle die anderen“, also gegen die reformatorische Bewegung insgesamt. Der Papst verhängt gegen „sie alle…ewige Verdammnis“ und greift damit weit über die irdische Lebenszeit hinaus und in die Prärogative Gottes hinein. Er bezieht auch die „Nachkommen“ in den Verlust von „Würden, Ehren und Güter“ der gegenwärtig Exkommunizierten ein. MaW. er dehnt seine Verurteilung „für alle Zukunft“ auf künftige Generationen aus und verhängt eine temporale antireformatorische Sippenhaftung. Als letztes Vergehen der Exkommunizierten benennt die Bannbulle die „Majestätsbeleidigung“. Dieser Straftatbestand des crimen laesae maiestatis stammt aus dem römischen Kaiserkult. Papst Leo stellt sich damit also bewusst in die Nachfolge der römischen Kaiser mit ihrem gottgleichen Anspruch. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob dieses Ausmaß an Strafverhängung gegen „Ketzer“ vom damaligen Kanonischen Recht gedeckt wird. Deutlich ist jedenfalls, dass es über heutige Befugnisse des Papstamtes bei weitem hinausgeht.

Mit diesen Strafen lässt es die Bannbulle jedoch keineswegs sein Bewenden haben. Sie verfügt „kraft apostolischer Autorität“ über Staaten, Länder, Städte bis hin zu „kleine (n) Orte (n)“, die die reformatorische Bewegung unterstützen, das kirchliche Interdikt, das Messen und andere kirchliche Feiern untersagt, Kontakte verbietet und Denunziation der „Exkommunizierten, Gebannten, Verfluchten“ fordert. Darüber hinaus werden sämtliche kirchliche Amtsträger von Patriarchen und Erzbischöfen bis zu den „Mönchen aller Orden“ verpflichtet, in größeren Gottesdiensten mit einem Exkommunikations-Ritual, das Kerzen zertreten und Steine schleudern einschließt, die Ketzer „öffentlich (zu) verkündigen“. Außerdem sollen sie „die Wahrheit des katholischen Glaubens gegen die besagten verdammten und häretischen Artikel predigen“. Schließlich sollen die Leiter von Kirchenkreisen und von allen Orden gegen die reformatorischen Artikel in Wort und schriftlicher Tat „öffentlich Stellung nehmen“. Das wird als „verdienstliches Werk“ gekennzeichnet und mit der „Palme des Ruhmes“  ausgezeichnet. Aus dieser Armada praktisch aller kirchlichen Amtsträger, die der Papst aufbietet, um die reformatorische Bewegung zu bekämpfen, lässt sich auf das Ausmaß der Bedrohung schließen, dem er sich ausgesetzt sieht.

3. Veröffentlichung und Auswirkung
Abschließend gibt die Bannbulle Anweisungen zur Veröffentlichung. Da es „wegen der Macht ihrer Förderer schwierig…(ist), die Urkunde dieser Erklärung und Veröffentlichung zu Martinus und den anderen Genannten und Exkommunizierten persönlich zu bringen“, werden erhebliche Ausnahmen und Reduktionen vorgenommen, um die Bulle öffentlich in Geltung zu setzen. Der letzte § 10 macht zusammenfassend deutlich, in welchem Geist die Bannbulle verfasst ist: „Es ist also keinem Menschen erlaubt, dieses Blatt unserer Verordnung, Erklärung, Befehls, Weisung, Willenserklärung und unseres Gesetzes einzuschränken oder sich durch verwegene  Kühnheit zu widersetzen. Wenn aber jemand wagen sollte, dies anzugreifen, soll er wissen, dass ihn die Ungnade des allmächtigen Gottes und seiner heiligen Apostel Petrus und Paulus treffen wird.“ (36) Hier wird mit 6 Begriffen die höchste unantastbare Autorität der Bulle unterstrichen. Ihr gegenüber ist nur Gehorsam angemessen, aber kein Widersetzen oder gar Angreifen. Den Zuwiderhandelnden wird die Ungnade Gottes und seiner Apostel angedroht – wieder ein päpstliches Verfügen selbst über Gott und Apostel!

Im Unterschied zur Bannandrohungsbulle, die von hohen vatikanischen Bediensteten unterzeichnet ist, verbürgt sich Papst Leo mit seiner Unterschrift persönlich für diese Bannbulle. Damit wirft er neben seinem machtvollen kirchlichen Amt auch sein persönliches Prestige in die Waagschale, um seiner Verfügung gegen Luther und alle seine Anhänger, Unterstützer und Verteidiger größtmöglichen Nachdruck zu verleihen. –

Vergegenwärtigt man sich die päpstliche Bannbulle als ganze, ist man doch betroffen von der polemischen Sprache, die an ihren Gegnern kein gutes Haar lässt. Aber auch gegenüber den eigenen katholischen Untergebenen herrscht ein Ton des von oben Befehlens „kraft apostolischer Autorität“. In ihrem Kern handelt es sich bei der Bulle um eine kanonische Strafverhängung mit Hinführung und Folgerungen. Theologische Gesichtspunkte und Argumente kommen nur in der einleitenden Schismatiker-Perspektive und der abschließenden Grenzüberschreitung vor. Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist von vornherein nicht beabsichtigt und findet also auch überhaupt nicht statt. Es kommt der Bannbulle einzig und allein darauf an, Luther und die reformatorische Bewegung weitestgehend zu diffamieren und mit dem Papst zu Gebote stehenden Strafmaßnahmen so weit wie irgend möglich zu unterdrücken.

Man könnte dieses Dokument als zeitgeschichtliche Urkunde des 16. Jahrhunderts auf sich beruhen lassen, wenn es nicht die Unterschrift des Papstes trüge und in den Acta Sanctae Sedis (ASS) bzw. Acta Apostolicae Sedis (AAS) seinen festen und verbindlichen Platz hätte. Diese päpstliche Verurteilung der reformatorischen Bewegung insgesamt und seine Exkommunikation der Person Luthers und aller seiner Anhänger hat bis zum heutigen Tage kirchenrechtliche, ekklesiologische, emotionale und ökumenische Auswirkungen. (37) Deshalb kann man die Sache auch nach 500 Jahren nicht auf sich beruhen lassen. Mir ist jedoch nicht bekannt, dass sich der Vatikan oder ein Papst dazu jemals öffentlich und verbindlich geäußert hätte.

V. Versöhnung nach 500 Jahren?

1. Die ungeklärte Lage
Das „gemeinsame Wort zum Jahr 2017“ benennt, wie eingangs zitiert, Luthers Exkommunikation durch Papst Leo X. und seine Antichrist Verwerfung des Papsttums als den „Kern des konfessionellen Konflikts“.(38) Deshalb kann man auch nach 500 Jahren nicht mit einem Federstrich über diesen Kernkonflikt hinweggehen, vielmehr sind die beiden damaligen Kontrahenten  aufgefordert, heute im Jahr 2021 das Ihre zur Heilung der hier geschlagenen gegenseitigen Wunden beizutragen. (39)

Die Disqualifizierung des Papsttums als „Antichrist“ darf nicht auf Luthers ungezügeltes Temperament reduziert werden. Vielmehr betrifft das Antichrist-Verdikt, das sich – wie dargelegt – in 4 evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften bis heute unwidersprochen findet, weite Teile des reformatorischen Selbstverständnisses. Eine Kirche, die ihre eigenen Bekenntnisgrundlagen derart unaufmerksam  behandelt, nimmt sich selbst nicht mehr ernst und verliert über kurz oder lang ihren Anspruch, von anderen ernst genommen zu werden. Solange also das antikatholische Schibolet „Antichrist“ nicht vom Lutherischen Weltbund und der Evangelischen Kirche in Deutschland öffentlich und verbindlich für heutiges Christsein zurückgenommen wird, bleibt die Wunde nicht nur für katholische Christen offen und Kirchengemeinschaft mit einem „Antichristen“ an der Spitze undenkbar. (40)

Ebenfalls darf die Exkommunikation der päpstlichen Bannbulle vom 3. Januar 1521 beileibe nicht auf die Person Martin Luthers reduziert werden. Denn sie betrifft – wie dargelegt – in gleichem Maße die gesamte reformatorische Bewegung von damals und „ihre Nachkommen“ „für alle Zukunft“. Wer also meint, die Frage der Exkommunikation habe sich mit Luthers Tod von selbst erledigt, gibt damit lediglich zu erkennen, dass er/sie den Wortlaut der Bannbulle nicht kennt, in der Luther immer zusammen mit „all den anderen“ Anhängern der Reformation verurteilt wird. Es handelt sich also bei der Exkommunikation der Bannbulle  keineswegs nur um den Ausschluss eines individuellen Menschen namens Martin Luther, vielmehr um die definitive Trennung von der gesamten reformatorischen Bewegung, deren Exponent Martin Luther ist. Deshalb ist „die Frage, ob dieser Bann aufgehoben werden soll… im Vorfeld von 2017 neu aufgelebt“ (41). Völlig zu Recht, denn dabei geht es um die öffentliche Stellungnahme der katholischen Kirche zu Luther, seinen Anhängern und Verteidigern, deren Nachkommen, also zur reformatorischen Bewegung damals und zu reformatorischen Kirchen heute insgesamt. Wenn es dem Vatikan und dem Papst ernst ist mit ihrer neuen Zuwendung zu den evangelischen Kirchen, dann dürfen beide nach 500 Jahren zur Bannbulle von 1521 nicht länger schweigen.

2. Die Aufgabe nach 500 Jahren

a) Zur Exkommunikation Martin Luthers
Bereits vor 50 Jahren hat anlässlich der 450-jährigen Erinnerung an den Wormser Reichstag das so genannte „Wormser Memorandum“ vom 6. März 1971 von Papst Paul VI. „ein klärendes Wort zur Person und Lehre Martin Luthers aus heutiger katholischer Sicht im Interesse der Vertiefung ökumenische Arbeit“ (42) erbeten. Aus dem an den „Heiliger Vater“ persönlich gerichteten Schreiben zitiere ich wichtige Passagen:

„Die Vertreter der Wormser Katholiken (sehen) es als ihre besondere und in erster Linie ihnen anstehende Aufgabe an, vom Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche ein Wort zu erbitten, das der heutigen katholischen Luther-Forschung entspricht…. In die Vergebungsbitte (von)  Papst Paul VI. vom 29. September 1963 wegen des Schuldanteils der katholischen Kirche an der seit 1521 bestehenden Trennung stimmen die Wormser Katholiken mit ein…

Eine aus orthodoxen und römisch-katholischen Sachverständigen bestehende gemischte Kommission… hatte den Auftrag, für Papst Paul VI. und den ökumenischen Patriarchen Athenagoras I. einen Vorschlag auszuarbeiten, wie die im Jahr 1054 zwischen Rom und Konstantinopel gewechselten Kirchenbanne aus der Welt geschafft werden könnten, die der symbolische Ausdruck für das daraus entstandene Schisma gewesen sind… Eine solche Kommission könnte beispielsweise prüfen, ob sich unter Voraussetzung gegenseitiger Absprachen die ´Zurücknahme der eigentlichen Bannbulle  Decet Romanum Pontificem´ vom 3. Januar 1521, der nach einem  von dem Bischof von Osnabrück eingeholten Gutachten ´kein grundsätzliches Bedenken´ im Wege steht, als gangbarer Weg erweist… Geprüft werden könnte beispielsweise auch, ob aufgrund der inzwischen historisch offensichtlich gewordenen Informationslücken, die für die seinerzeitige Situation charakteristisch sind, sich ein Modus zu einer gegenseitigen Korrektur der Verdammungen abzeichnet…

Die römisch-katholische Kirche und ihre Reformbemühungen (leiden) keinen Schaden, wenn durch eine päpstliche Erklärung, die auch die katholische Auffassung der Inexistenz des Bannes bekundet, einem gewandelten Bewusstsein Ausdruck gegeben wird… Durch eine solche Bekundung könnte eine der Ursachen für eine unzeitgemäße Belastung des Verhältnisses der Christen untereinander wirkungslos gemacht werden…

In diesen Augenblicken liegen bereit, was man die Chance der Geschichte und die Hoffnung, in das Geschehen eingreifen zu können, nennen kann, kurzum, Möglichkeiten, die es zu ergreifen gilt oder vor denen man versagt… Zu leicht macht es sich, wer lediglich die Irrelevanz des sog. Gestrigen behauptet oder wer gar nur das Vergessen lehrt, das die Zeit tötet, aber sie nicht verwandelt… Dadurch aber würde die Chance preisgegeben, das, was Geschichte geworden und Geschichte gemacht hat, in neues Geschehen zu verwandeln….

Die Wormser Katholiken sprechen ihre Bitte an den Papst, ein von katholischer Seite erhofftes, die Spannungen lösendes Zeichen zu setzen…“ (43)

Am 14. Juli 1971 erteilte der damalige Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der christlichen Einheit, Kardinal Willebrands, dieser Bitte eine offizielle Absage. Er begründete sie damit, dass über die verurteilten Lehren Luthers noch kein Konsens erreicht sei. Seitdem sind jedoch nicht weniger als 10 Konsenstexte vom Lutherischen Weltbund zusammen mit dem Vatikan veröffentlicht worden: vom berühmten Malta-Bericht 1972 über „Das Evangelium und die Kirche“, „Das Herrenmahl“ von 1978 bis zur vorläufig letzten Publikation „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ aus dem Jahr 2013. Hinzu kommen das Projekt von 1980-1985: „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ sowie die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von 1999 (44). Es sind also in den vergangenen 50 Jahren so gut wie alle evangelisch-katholischen Lehrdifferenzen aufgearbeitet worden.

Die „Altenberger Erklärung“ des Altenberger Ökumenischen Gesprächskreises vom Pfingstsonntag 2020 knüpft an diese Entwicklungen an. Sie erinnert ebenfalls an die Aufhebung der gegenseitigen Exkommunikationen von Rom und Konstantinopel im Jahr 1965, an das Gemeinsame Wort zu Luthers 500. Geburtsjahr 1983: „Martin Luther – Zeuge Jesu Christi“ sowie an Ziffer 41 der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre mit der Feststellung, dass die gegenseitigen Verurteilungen in dieser Sache heute „nicht (mehr) treffen“. Im Anschluss an das Wormser Memorandum richtet die Altenberger Erklärung dann die Bitte an Papst Franziskus, in Absprache mit dem Päpstlichen Rat zur Förderung der christlichen Einheit „zu erklären, dass die Verurteilungen der Bannbulle vom 1521 die heutigen Angehörigen der evangelisch-lutherischen Kirchen nicht treffen“ (45). Es bleibt abzuwarten, ob und wie Papst Franziskus diesem Ersuchen entsprechen wird.

b) Zur Antichrist-Verurteilung des Papstamtes
Mit der „Antichrist“-Verurteilung des Papstamtes hat sich bereits die Studie „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ von 1985 ausführlich befasst. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass „das Petrusamt des Bischofs von Rom als sichtbares Zeichen der Einheit der Gesamtkirche von den Lutheranern nicht ausgeschlossen zu werden braucht“. (46) Das deutsche bilaterale Dokument „Communio Sanctorum. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen“ aus dem Jahr 2000 bündelt die lutherische Stellungnahme zum Papsttum unter 6 Gesichtspunkten. Der 4.  regt im Blick auf die universale Ebene positiv an, darüber nachzudenken „ob ein gesamtkirchlicher ´Petrusdienst´ angemessen, möglich oder gar notwendig ist… Er hätte eine pastorale Aufgabe an allen Kirchen und wäre zugleich ihr Repräsentant.“ (47) Auch das internationale Dialog-Dokument zur „Apostolizität der Kirche“ von 2009 befasst sich in seinem Schlusskapitel konstruktiv mit dem „Lehramt“ (48). In der Erklärung der „Kommission für die Einheit“ „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ aus dem Jahr 2013 gibt es erstmals „eine historische Skizze der lutherischen Reformation  und der katholischen Antwort“, außerdem einen lutherisch-katholischen Dialog über das Amt, in dem auch der Bischof von Rom zur Sprache kommt, und schließlich ein „lutherisches Bekenntnis von Sünden gegen die Einheit“: „Wir als lutherische Christen und Gemeinden sind bereit zu sehen, wie das Urteil der Reformatoren über die Römisch-katholische Kirche und Theologie ihrer Zeit oft nicht frei war von polemischen Verzerrungen, die zum Teil bis in die Gegenwart nachwirken“ (49).

Am weitesten ist im Gespräch über die „Gemeinschaft der Kirchen und Petrusamt“ die Gruppe von Farfa Sabina vorgestoßen, die sich von 2003 bis 2010 um Annäherungen im Verständnis des Petrusamtes zwischen Lutheranern und Katholiken bemüht hat. Sie unterscheidet zwischen Luthers „ebenso fundamentalem wie präzisem“ Antichrist-Vorwurf gegen das Papsttum, das für sich das ius divinum in Anspruch nahm, ein „Tatsachenurteil“, aber kein „Grundsatzurteil“ über das Papsttum, und zwischen  der für Luther auch vorhandenen Möglichkeit eines erneuerten Papsttums: „Die reformatorische Verneinung des päpstlichen ius divinum-Anspruchs ist somit keine grundsätzliche und kategorische, sondern eine ´qualifizierte´ Verneinung. Auch hier zeigt sich also – ähnlich wie bei Luther – jene Differenzierung zwischen dem Papstamt als solchem und der evangeliumswidrigen Ausübung dieses Amtes, eine Differenzierung, die es gestattet, ein erneuertes, evangeliumsgemäßes Papstamt ins Auge zu fassen, das  auch aus reformatorischer Sicht möglich, sinnvoll und bejahrbar wäre.“ (50)

In einem rund 50-jährigen Gesprächsprozess mit katholischen Partnern seit dem Malta-Bericht von 1972 (51) sind drei Dinge im Blick auf das Papstamt für die evangelische Seite geklärt worden: einmal die Berechtigung von Luthers Antichrist-Verdikt gegen die damalige evangeliumswidrige iure divino-Ausübung des Papstamtes; dann die – auch von Luther theoretisch bejahte – Möglichkeit einer dem Evangelium gemäßen iure humano-Gestaltung des Papstamtes und schließlich die neue Ausübung des Papstamtes in der katholischen Kirche seit Papst Johannes XXIII. Daraus ergibt sich nun die Unterscheidung zwischen dem damals berechtigten Antichrist-Vorwurf und der heute seit über 60 Jahren angestrebten evangeliumsgemässen Ausübung des Papstamtes.

Auf dem Hintergrund dieses Jahrzehnte langen Dialogs richtet die Altenberger Erklärung 2020 folgende Bitte an den Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, Erzbischof Musa in Nigeria, zusammen mit dem Exekutivkomitee des Lutherischen Weltbundes, „zu erklären, dass die Verwerfungen der Päpste als „Antichrist“ durch Luther und evangelisch-lutherische Bekenntnisschriften (…) das heutige Papsttum und seine Amtsinhaber nicht treffen“ (52). Es ist bislang nicht absehbar, ob und gegebenenfalls wie Präsident und Exekutivkomitee des Lutherischen Weltbundes auf dieses Ersuchen antworten werden.

3. Handlungsvorschläge für das Jubiläumsjahr 2021
Nun kommt es im 500-jährigen Jubiläumsjahr 2021 darauf an, aus den bisherigen Entwicklungen zur Überwindung des Konfliktes zwischen Luther und Papst konkrete Folgerungen zu ziehen, damit die jahrhundertealten Verwerfungen, Feindschaften und Vorurteile zwischen evangelischer und katholischer Kirche überwunden werden können.

Was ist im Jahr 2021 in unserem Land zu tun?

a) Versöhnungsbitte
Der Ökumenische Rat Berlin-Brandenburg (ÖRBB) hat seinen Mitgliedskirchen eine Versöhnungsbitte zum Fürbittengebet in den Gottesdiensten am 2. Sonntag nach Weihnachten empfohlen, dem 3. Januar 2021, dem Tag, an dem Martin Luther genau vor 500 Jahren aus seiner katholischen Kirche exkommuniziert wurde:

„Wir bitten deshalb besonders an diesem Tag:                                                                                       

Gott, schenke uns Deinen Geist der Versöhnung.                                                                                          Verleihe den Verantwortlichen in den Kirchen den Mut, alte gegenseitige Verurteilungen aufzuheben.                                                                                                                                                              Gib uns die Kraft, im Streit nie wieder zur Mittel der wechselseitigen Verdammung zu greifen.                                                                                                                                                        Schenke uns die Bereitschaft, die guten Absichten im Denken und Handeln unserer Schwestern und Brüder zu sehen.                                                                                                                   Lass uns unsere Schwesterkirchen als Bereicherung für uns selber entdecken und mit ihnen zusammen auf unserem künftigen Weg Dich bezeugen.

Wir bitten dich, erhöre uns.“

Diese Bitte können alle Gemeinden auch zu einem späteren Zeitpunkt übernehmen.

b) Versöhnungsliturgie
Der Altenberger Ökumenische Gesprächskreis hat eine Liturgie „Versöhnung nach 500 Jahren“ erarbeitet und sie in seinem neuen Buch „In alle Ewigkeit verdammt? Zum Konflikt zwischen Luther und Papst nach 500 Jahren“  veröffentlicht (54). „Wir laden alle Gemeinden ein, in einem ökumenischen Gottesdienst…die Freude über das Kommen Gottes in unsere Welt mit dem Vollzug des Versöhnens miteinander nach 500 Jahren zu verbinden.“ (55) Die Liturgie ist eigentlich für den 3. Januar 2021 gedacht; aber angesichts der gegenwärtigen Corona-Beschränkungen kann man diese Liturgie auch am 2. Sonntag nach Ostern feiern, dem 18. April, an dem Luther vor dem Wormser Reichstag den von ihm geforderten Widerruf verweigerte. Auch der 3. Ökumenische Kirchentag, Pfingstmontag, 24 Mai,  der Buss- und Bettag am 17. November 2021 oder jede andere  Gelegenheit kommen für diese Versöhnungsliturgie in Frage, die zur Verständigung zwischen Gemeinden und Kirchen vor Ort beitragen will.

c) Öffentliche Kundgebung von Deutscher Bischofskonferenz und Evangelischer Kirche in Deutschland
Schließlich sind die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland gefragt, ob sie bereit sind, über ihr „gemeinsames Wort zum Jahr 2017“ hinaus eine konkrete Vereinbarung zu treffen, die ihr Bedauern über die Konflikte im 16. Jahrhundert zum Ausdruck bringt und gleichzeitig bekundet, dass die Exkommunikation Martin Luthers und aller seiner Anhänger heute ebenso wenig mehr zutrifft wie die Antichrist-Verwerfung des Papsttums. „Wir bitten die Deutsche Bischofskonferenz im Einvernehmen mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken sowie den Rat und die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) um ein gemeinsames öffentliches Wort des Bedauerns über die damaligen Vorgänge und der Hoffnung auf Überwindung der gegenseitigen Verurteilungen, die zur Kirchenspaltung geführt haben.“ (56) Das könnte beispielsweise am 18. April in Worms geschehen. –                                                                                                                                           Was wir jetzt nach 500 Jahren im Jahr 2021 brauchen, ist ein definitiver Schlussstrich unter die gegenseitigen Verurteilungen im 16. Jahrhundert. Denn es darf nicht geschehen, dass kurz vor der angestrebten Vereinbarungserklärung zur Kirchengemeinschaft im Jahr 2030 jemand von evangelischer oder katholischer Seite auftritt und erklärt, dass wegen der Antichrist-Verurteilung des Papstes 1520 und der Exkommunikation Martin Luthers im Jahr 1521 eine Kirchengemeinschaft zwischen evangelischer und katholischer Kirche nicht möglich ist. Das zu verhindern und damit bis heute kirchentrennende Hindernisse aus dem Weg zu räumen, ist die Aufgabe im Jahr 2021.

Es gibt ohne Zweifel im neuen Jahr 2021 wichtige ökumenische Aufgaben im Blick auf die Corona-Pandemie, den 3. Ökumenischen Kirchentag und das Flüchtlingselend. Aber wegen des Abstandes eines halben Jahrtausends sollte es umso eher möglich sein, die Exkommunikation Luthers und aller seiner Anhänger ebenso wie die Antichrist-Verurteilung des Papsttums aus dem 16. Jahrhundert im Jahr 2021 des 21. Jahrhunderts nach 500 Jahren verbindlich außer Kraft zu setzen. Erst dann wird Kirchengemeinschaft der feindlichen Schwestern von damals im Jahr 2030 denkbar und möglich.

VI. Ausblick auf die zwanziger Jahre

Es geht also im Jahr 2021 um weitere konkrete Schritte zur Heilung der westkirchlichen Spaltung zwischen reformatorischen und römisch-katholischer Kirche.

Im Jahr 2025 steht die Versöhnung zwischen den (Frei-) Kirchen der Täuferbewegung und den Großkirchen nach 500 Jahren an. Außerdem muss der soziale Konflikt innerhalb der reformatorischen Bewegung zur Sprache kommen, der mit der Niederschlagung des Bauernaufstands im Jahr 1525 seinen Anfang nahm. Schließlich erinnern alle christlichen Kirchen im Jahr 2025 daran, dass vor dann 1700 Jahren das Erste Konzil im Jahr 325 im kleinasiatischen Nizäa stattfand. Am wichtigsten ist dabei die Erinnerung an sein Glaubensbekenntnis, das in der erweiterten Fassung von Konstantinopel 381 bis zum heutigen Tag das einzige Bekenntnis ist, das die Christenheit verbindet. Hier geht es auch um einen Brückenschlag zwischen West- und orthodoxer Ostkirche, die das so genannte „Nizänische“ oder Große Glaubensbekenntnis treuer bewahrt hat als der Westen.

Im Jahr 2030 wird das Grundbekenntnis des Protestantismus, die Augsburgische Konfession, 500 Jahre alt. Schon vor dann 50 Jahren ist im Vorfeld des Jahres 1980 von katholischer Seite aus der Versuch unternommen worden, die Confessio Augustana (CA) zumindest in ihrem ersten Teil als gesamtchristliches Bekenntnis anzuerkennen. Damals ist es noch nicht gelungen. Wenn es am 25. Juni 2030, dem 500-jährigen Augustana-Tag, zustande kommt, besitzen die evangelische und katholische Kirche eine gemeinsame Bekenntnisgrundlage, die Kirchengemeinschaft eröffnen kann.

Schließlich sei daran erinnert, dass am 16. Juli 1054 die Gemeinschaft zwischen Rom und Konstantinopel zerbrochen ist. Sie ist immer noch nicht wieder hergestellt. Das könnte nach  dann tausend  Jahren im Jahr 2054 geschehen. Es wäre der richtige Zeitpunkt für das erste gesamtchristliche wahrhaft ökumenische Konzil, das zugleich als III. Vatikanisches Konzil gelten könnte.

Wer diese Perspektiven auf die nähere und weitere Zukunft der Kirchen nicht in Blick nimmt, wird auch dem nicht gerecht, was jetzt im Jahr 2021 an der Zeit ist. Denn Verarbeitung von Vergangenheit bedeutet Erarbeitung von Zukunft.

Anmerkungen

  1. In: Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen (EJC). Ein gemeinsames Wort zum Jahr 2017; Gemeinsame Texte 24, Hg. DB/EKD, Bonn/Hannover 16.09.2016, S. 37.
  2. “Wider die Bulle des Endchrists; Contra bullam execrabilem Antichristi; Weimarer Ausgabe, Bd. 6, S. 614ff.
  3. In: Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung (DGQD), Bd. 3: Reformationszeit 1495 – 1555, Hg. U. Köpf, Reclam 17003, Stuttgart 2010, S. 164.
  4. A.a.O. S. 165.
  5. A.a.O. S. 162.
  6. In: Martin Luther, Ausgewählte Werke (MLAW), Bd. 2: Schriften des Jahres 1520, Hg. H. H. Borcherdt/G. Merz, München 1983, 3. Aufl., S. 291.
  7. M. Brecht, Martin Luther, Bd. 1: Sein Weg zur Reformation 1483 – 1521,(BMLR), Stuttgart 1981, S. 404.
  8. So Christiane Laudage in: KNA – ÖKI 49, 01.12.2020, S. 13.
  9. Z.B. bei A. Kohnle, Martin Luther. Reformator, Ketzer, Ehemann, Leipzig 2015, S. 92 f.
  10. BM R, S. 405.
  11. In: MLAW, S. 291-300.
  12. A.a.O. S. 291.
  13. A. a. O. S. 291f.
  14. Vgl. dazu Liber Extra Gregors IX., in: LThK, Bd. 2, Freiburg 1994, Sp. 1323.
  15. Luther verweist auf die Dekretalen Gregors IX.: 9. Abschnitt, 3. Frage, Kapitel 17; a. a. O. S. 293.
  16. A. a. O. S. 293f.
  17. A. a.O. S. 289, 297-300 passim.
  18. MLAW, Bd. 1, München 1963, 3. Aufl., S. 57.
  19. MLAW, Bd. 2, S. 416.
  20. Weimarer Ausgabe, Bd. 6, S. 627.

20 a. Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017 (KGR), Leipzig/Paderborn 2013, S. 32, Z. 53.

  1. In: Unser Glaube (UG). Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche.., Hg. H. G. Pöhlmann, Gütersloh 1991, 3. Aufl., S. 466.
  2. UG, S. 327, Z. 249.
  3. UG. S. 516f, Z. 475.
  4. J. Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, Hg. O. Weber, Neukirchen 1955, S. 778.
  5. Solida Declaratio X. Von den Kirchenbräuchen, in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 1963, 5. Aufl., S. 1060 f; vgl. UG, S. 468, Z. 401.
  6. Zum Ganzen vgl. H.-G. Link, Vom „Antichrist“ zum „Bruder in Christus“, in: H.-G. Link/J. Wohlmuth (Hg.), In alle Ewigkeit verdammt? Zum Konflikt zwischen Luther und Papst nach 500 Jahren (KLP 500), Göttingen/Mainz 2020, S. 129ff.
  7. Enzyklika Ut Unum Sint (UUS) von Papst Johannes Paul II. Über den Einsatz für die Ökumene, 25.05.1995, VAS 121: Der Dienst des Bischofs von Rom an der Einheit, Z. 96, S. 68.
  8. VAS 194, Bonn 24.11.2013.
  9. Lehrverurteilungen – kirchentrennend? I, Hg. K. Lehmann/W. Pannenberg, Freiburg/Göttingen 1986, S. 169.
  10. In: Texte aus der VELKD 42/1991, 3. Aufl., Juli 1996, S. 99.

30 a. In: KGR (Anm. 30 a), a. a. O. S. 91, Z. 229.

  1. Vgl. zum Ganzen KLP 500, H.-G. Link (Anm. 26), a. a. O. S. 142ff.
  2. In: DGQD 3, S. 162ff. Im Folgenden zitiere ich aus dieser Quelle.
  3. Die Bulle beginnt mit den lateinischen Worten: Decet Romanum Pontificem.
  4. Daher ist es ungewiss, ob Leo X. die ihm gewidmete Lutherschrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ samt persönlichem „Sendbrief“ vom 06.09.1520 je zur Kenntnis genommen hat.
  5. DGQD 3, a. a. O. S. 165, § 3.
  6. DGQD 3, a. a. O. S. 168f.
  7. Vgl. dazu KLP 500, S. 24 ff.
  8. EJC (Anm. 1) a. a. O. S. 37.
  9. Dass in einer Kölner ökumenischen Zusammenkunft im Herbst 2020 ein Bericht über diesen Konflikt mit Gelächter und der Bemerkung kommentiert wurde: „Lasst die Toten ihre Toten begraben“, zeugt von einem erschütternden Unverständnis der Problematik und einem denkbar oberflächlichen ökumenischen Niveau.
  10. Eine Fußnote dazu, wie sie bei den Schmalkaldischen Artikeln zu finden ist (UG, a. a. O. S. 466, Z. 309, Anm. 60 a) ist nur ein allererster Schritt, der heute theologisch längst weiter entwickelt werden muss.
  11. EJC, a. a. O. S. 37.
  12. In: 1521 – Luther in Worms – 1971. Ansprachen, Vorträge, Predigten und Berichte zum 450-Jahrgedenken, Hg. F. Reuter, Worms 1973, S. 177.
  13. A. a. O. S. 177ff.
  14. Vgl. dazu meine Ausführungen zum „Wormser Memorandum von 1971“, in: H.-G. Link, Die unvollendete Reformation. Zur konziliaren Gemeinschaft von Kirchen und Gemeinden, Leipzig/Paderborn 2016, S. 289f.
  15. KLP 500, a. a. O. S. 32.
  16. Lehrverurteilungen-kirchentrennend?, a. a. O. S. 169.
  17. Frankfurt/Paderborn 2000, S. 94 f.
  18. Frankfurt/Paderborn 2009, S. 209ff.
  19. Leipzig/Paderborn 2013, S. 26 ff, 67 ff, 93 f: Zitat aus der 5. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 1970 in Evian/F.
  20. Frankfurt/Main 2010, S. 42 ff, Zitat S. 47.

51 Dazu: Dokumente wachsender Übereinstimmung (DWÜ), Bd. 1:1931-1982, Hg. H. Meyer/H. – J. Urban/L. Vischer, Frankfurt/Main – Paderborn 1983, S. 266.

  1. KLP 500, a. a. O. S. 32.
  2. In: KNA-ÖKI 51, 15.12.2020, Dokumentation XII.
  3. KLP 500, a. a. O. S. 168ff.
  4. KLP 500, a. a. O. S. 33.
  5. Ebd.