„Wir müssen über den eigenen Kirchturm hinausschauen“

von Radio Vatikan und Benediktinerpater Augustinus Sander (Interview)

Auszug aus einem Interview mit Benediktinerpater Augustinus Sander, OSB*

Radio Vatikan: Aus der deutschsprachigen Perspektive heraus betrachtet: Soll der ökumenische Dialog zwischen Katholiken und Lutheranern durch diese weltweite Ökumene irgendwie vorwärtskommen?

 

Pater Sander: Vielleicht darf ich ganz persönlich antworten. Ich bin Deutscher, ich komme aus dem Land der Wittenberger Reformation und ich bin gleichzeitig hier in Rom verantwortlich im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen. Ich versuche also eine Balance zu finden zwischen der regionalen Ebene, die wichtig ist, und der universalen Ebene. Ich denke, es ist wichtig, über den eigenen Gartenzaun, über den eigenen Kirchturm hinauszuschauen. Das ist eigentlich unser erstes Anliegen hier im Päpstlichen Einheitsrat. Wir führen Dialoge auf Weltebene, wir führen Dialoge zum Beispiel mit dem Lutherischen Weltbund. Der Lutherische Weltbund ist weltweit eine „Communion of Churches“, eine Weltgemeinschaft verschiedener lutherischer Kirchen, die in ihrer Vielfalt, aber auch in ihrer Einheit natürlich auch ein ökumenisches Potenzial darstellen, und wir als katholische Kirche sind seit über 50 Jahren im Gespräch – also noch während des Zweiten Vatikanischen Konzils gab es den ersten  Gesprächskontakt zwischen Katholiken und Lutheranern auf Dialogebene. Natürlich kann man sagen, dass in Deutschland, wo Ökumene mehr oder weniger selbstverständlich ist, das etwas sehr Schönes ist, manchmal der Blick für das große Ganze, auch für das Weltweite etwas ins zweite Glied tritt. Das ist zunächst einmal keine Kritik, sondern eine Feststellung…

 

Radio Vatikan: Ist denn etwas zum Jahrestag der Exkommunikation Luthers geplant? Es ist vielleicht ein tragischer Jahrestag, aber es geht ja trotzdem darum, gemeinsam etwas zu gedenken.

Pater Sander: Ich denke, dass nach den positiven Erfahrungen des katholisch-lutherischen Dialoges, der, wie gesagt, seit über 50 Jahren auf Weltebene gute Fortschritte gemacht hat, und nach diesem ökumenischen Erfolgserlebnis, diesem ökumenischen Meilenstein in Augsburg 1999, es nun darum geht, kontinuierlich, Schritt für Schritt, vom Konflikt zur Gemeinschaft weiterzugehen. Das ist ein Weg, und man muss Schritt für Schritt gehen. Wie das immer so ist, gibt es da unterschiedliche Meinungen. Es gibt diejenigen, denen es nicht schnell genug geht, die gerne zwei oder drei Schritte auf einmal nehmen. Es gibt auch die Dauerbremser, die also sich nicht weiter bewegen wollen. Unsere Aufgabe wäre auch da, im Geiste der Unterscheidung einen Weg zu finden einerseits, dass alle mitkommen, das ist wichtig, und auf der anderen Seite aber auch diesen ökumenischen Impuls, dieses dynamische Element lebendig zu halten.

Nun kann man sagen, am 3. Januar 2021 hat sich zum 500. Mal die Exkommunikation Martin Luthers gejährt. Ist das nicht ein Anlass, den man eher vergessen sollte, ist das nicht etwas, was eher peinlich ist im Rahmen der Ökumene? Nun, wir würden es genau umgekehrt sagen. Gerade aufgrund der über 50-jährigen guten Erfahrungen des wachsenden Vertrauens, des auch Wiedererkennens größerer lehrmäßiger Gemeinsamkeiten ist es jetzt die Herausforderung, sich auch diesen zunächst vielleicht etwas unbequemen Fragen zu stellen. Eine katholisch-lutherische Gruppe ist seit Dezember 2019 damit beschäftigt, die näheren Umstände – also die theologischen, historischen, kirchenrechtlichen Umstände der Exkommunikation Martin Luthers – in ökumenischer Perspektive genauer zu betrachten. Katholiken und Lutheraner bilden eine Expertengruppe. Das ist ein work in progress, was leider durch die Corona-Pandemie auch vom zeitlichen Ablauf her beeinflusst wurde. Es hat da notgedrungen Verzögerungen gegeben, aber die Idee ist, dass es ein gemeinsames Wort des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und des Lutherischen Weltbundes im Blick auf ein vertieftes Verständnis dessen geben soll, was die Exkommunikation Luthers bedeutet. Es sind 41 Sätze von Martin Luther 1521 unter die Exkommunikation gestellt worden.** Was hat er denn damals gesagt? Wie verstehen wir es heute? War das alles ein Missverständnis? Gibt es weiterhin offene Fragen? Das sind die Themen, die uns beschäftigen. Wir können das nicht schnell gleich lösen, sondern wir wollen den anderen, auch Luther in seinem Anliegen, vielleicht auch in einem für uns als Nachgeborene zunächst fremden Anliegen, ernst nehmen und wertschätzen. Wenn es dann gelingen kann, in einem weiteren Schritt Gemeinsamkeiten festzustellen, wo es zunächst überhaupt nicht aussah, dass es da Schnittmengen gibt, dann ist das ein positives Resultat. Wir erzwingen da nichts. Da ist sorgfältige theologische Arbeit gefordert.

 

Doch was mir ganz wichtig ist, und das haben auch Kardinal Koch und Martin Junge im Geleitwort zur überarbeiteten italienischen Übersetzung (der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre vom 31. Oktober 1999) noch einmal zum Ausdruck gebracht: Wir sehen den ökumenischen Dialog, wir sehen diese Übersetzung, wir sehen die weiteren Bemühungen um größere Einheit in der Perspektive von 2030. Dann wird das 500-jährige Jubiläum des Augsburgischen Bekenntnisses – der Confessio Augustana – begangen. Die Confessio Augustana, die heute eine Bekenntnisschrift der lutherischen Kirchen darstellt, war 1530 ein letztes Mal – man könnte fast sagen – ein ökumenisches Dokument oder ein letzter Versuch, zur Einheit zu gelangen, um die auseinanderdriftenden Kräfte und Verkirchlichungen außerhalb der katholischen Kirche wieder zusammenzuführen und so zu einer größeren Einheit hinzuführen. Die weitere Entwicklung und Rezeption ging dann ja über in die Aufgliederung in verschiedene Konfessionen. Es wird also die Herausforderung sein, ob wir 2030 vielleicht in größerer Gemeinsamkeit unseren Glauben bekennen können.

 

 

*Augustinus Sander ist Benediktinerpater der Abtei Maria Laach in Deutschland und im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen zuständig für den Dialog mit den lutherischen Kirchen und den altkatholischen Kirchen der Utrechter Union.

 

**Gemeint sind 41 Sätze Luthers, die in der Bannandrohungsbulle vom 15. Juni 1520  zitiert und „insgesamt und einzeln…als ketzerisch, anstößig und falsch“ verurteilt worden sind.

 

Quelle: Vatican News vom 5. Januar 2021                                                                                                  http://www.vaticannews.va/de